Pannoniens oberster Windmüller
Michael Dahl hat Windparks an der Nordsee gemanagt - Seit 2005 tut der Ostfriese das im Burgenland, wo die Brise ähnlich steif ist
Eisenstadt - Ohne ihn läuft gar nix, da kann der Wind wehen, wie er will. Dabei sitzt Michael Dahl in einem unscheinbaren Kammerl im dritten Stock jenes Eisenstädter Gebäudes, zu dem man seit der Fusion mit dem Gasversorger Begas zur Energie Burgenland nicht mehr Bewag-Haus sagen darf.
Gleich bei der Tür steht eine Truhe auf einem mobilen Gestell im Weg, an der Längsseite eine Reliefkarte des nördlichen Burgenlandes. An Wänden hängen plane Karten des Gebiets, da wie dort markieren farbige Punkte jene Windräder, die stillstünden, würden Michael Dahl und seine insgesamt neun Mitarbeiter nicht mit Argusaugen darüber wachen.
Dahl ist Betriebsführer der Energie Burgenland Windkraft, und in dem unscheinbaren Eisenstädter Kammerl mit Blick auf den Leithaberg laufen alle Daten zusammen. Von den Windverhältnissen bis zu den Ölständen und Drehzahlen. Aber auch die jeweilige Produktionsziffer. Der Windstrom kommt unterirdisch zu den Umspannwerken, von dort ins eigene 110-Kilovolt-Netz oder ins 380-KV-Verbundnetz . "Nur wenn ein Umspannwerk gewartet wird, schalten wir Anlagen ab."
Von seinem Schreibtisch aus hat er eine Batterie von Flachbildschirmen im Blick. "Wenn irgendwo was nicht passt, schreit der Alarm, und wir können sofort reagieren." Wir - das sind nicht nur die neun Mitarbeiter "inklusive Putzfrau", sondern auch rund 100 Serviceleute, die von den Herstellerfirmen gestellt werden. Da trifft es sich gut, dass die deutsche Enercon - einer der führenden Windradproduzenten weltweit - sich unlängst auch in Zurndorf niedergelassen hat. Diese Mannschaft legt Hand an zurzeit 170, im Endausbau 209 Räder mit einer Leistung von 456 Megawatt.
Murphys Gesetz
Es geht, no na, um Effizienz. Dafür müssen nicht nur die Räder ständig exakt in den Wind gedreht werden ("Zehn Grad Abweichung kosten zehn Prozent Leistung."), sondern auch die Rotorblätter "gepitcht", also um die Längsachse in den oder aus dem Wind gedreht werden. "Das ist so ähnlich wie beim Segeln." (Im März gelang das gut, da wurden 120 Prozent des im Burgenland verbrauchten Stroms produziert.)
Im Normalbetrieb geht das vollautomatisch. Eine genordete Windfahne misst die Abweichung, computergesteuerte Motoren besorgen die Nachjustierung. Da aber auch Windparks unterm Murphy'schen Gesetz stehen - "Whatever can go wrong will go wrong" - müssen Dahl und seine Mitarbeiter ständig auf der Hut sein, zumal ein zentraler Paragraf dieses Geset-zes das Schiefgehen zum jeweils blödestmöglichen Zeitpunkt festlegt.
Stillstände ergeben sich nicht nur durchs Schiefgehen. Wenn der Wind zu steif wird, wird es für die Räder gefährlich. Bei getriebelosen Anlagen liegt die Höchstgrenze bei 33 Metern pro Sekunde. Da wird dann das Pitchen wie ein wilder Segelritt über den Neusiedler See. "Da geht's dann wirklich zur Sache." Und solche Windstärken sind nicht selten hier.
Amors Gesetz
Dahl steht auf, schiebt die Reliefkarte herbei. Rechts oben sieht man die kleinen Karpaten, diagonal versetzt den Leithaberg, dazwischen eine Lücke: die Hainburger Pforte. "Das wirkt wie eine Düse. Hier haben wir Windverhältnisse wie an der Nordsee. Da", zeigt er begeistert auf die Punkte bei Zurndorf, Parndorf, Pama, "sind die allerbesten Lagen."
Michael Dahl sagt das nicht bloß so daher. Er weiß, wovon er spricht, schließlich ist er ein waschechter Ostfriese, den es erst sporadisch als Gutachter beim rasanten Windkraftausbau ins Burgenland verschlagen hat. Dann hat die Liebe zugeschlagen - "ganz klassisch" -, da kam das Jobangebot 2005 gerade recht.
Dahl hat in Emden den damals größten Onshore-Windpark Europas am Wybelsumer Polder mit aufgebaut und geleitet. Ins Burgenland brachte er die einschlägigen Erfahrungen mit, zum Beispiel die Schwierigkeiten mit dem Vogelschutz, der Wybelsumer Polder ist ja auch ein wichtiger Trittstein im Vogelzug.
Dass das Burgenland frühzeitig die planerische Kooperation mit Umwelt- und Vogelschutzorganisationen suchte - was zur Planungssicherheit wesentlich beigetragen hat -, verdankt sich zu einem guten Teil dem 51-jährigen Ostfriesen, der mittlerweile auch mit den Jägern ganz gut kann.
Je mehr er redet, der ostfriesische Pannonier, desto klarer macht er, wie spannend, ja geil er die Sache immer noch findet. "Als ich in den Neunzigern angefangen habe, waren wir die Wollsocken, die Verrückten." Die Zeit für solche sieht er noch lang nicht vorbei. Der nächste Schritt die Entwicklung wirtschaftlicher Speicher - kommt, schwört er, schon im nächsten Jahrzehnt. Und da möchte er - als pannonischer Windmüller - mit dabei sein. (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, 6.6.2013)